Im Rahmen meines Buchprojekts stelle ich hier literarische Fundstücke vor, die mir während der Recherche über den Weg laufen. Es können sowohl historische als auch aktuelle Werke sein – auf die Anknüpfungspunkte für den aktuellen Digitaldiskurs gehe ich ein.


Der erste Eintrag in der Reihe ist der schmale Band „Die Maschine steht still“ von Edward M. Forster. Die Erstveröffentlichung ist aus dem Jahr 1909, ich nutze die deutsche Übersetzung von Gregor Runge von 2016 im Verlag Hoffmann und Campe. Das Original ist über Wikisource hier frei zugänglich.

Forster erzählt eine dystopische Geschichte, in der die Menschheit unterhalb der Erdoberfläche in einer künstlichen Behausung und fürsorglich umsorgt von einer hochtechnisierten Maschine lebt. Das komplette soziale und kommunikative Leben findet vermittelt über die Maschine statt, echte menschliche Interaktion wird als nicht mehr notwendig erachtet. Stattdessen kann jeder Mensch mittels der Technik der Maschine (z.B. Unterseekabel) auf vielfältige Weise mit anderen kommunizieren und interagieren (z.B. Vorträge halten). Die Menschen leben dadurch isoliert voneinander und gehen kaum vor die Tür ihrer Zelle – auch weil die Erdoberfläche ohne Atemmaske nicht betretbar ist. Ging man früher in die Natur, um sich zu erholen und Geist und Körper aufzutanken, so kommt nun die frische, „natürliche“ Luft direkt zum Menschen.

Nicht alle sind über diese Situation glücklich, eine der beiden Hauptfiguren – Kuno – will sich nicht mit dem maschinendeterminierenden Zustand zufrieden geben und versucht auf eigene Faust auszubrechen. Der hier angedeutete Kampf gegen die Maschine wird für die Menschen wie Kuno zusätzlich erschwert, indem (1) die Atemmasken abgeschafften und (2) die Religion wiedereingeführt werden. So soll die Einsicht überdeckt werden, dass die Maschine ein Produkt der Menschen ist (und eigentlich auch wieder abgeschafft werden könnte).

Irgendwann werden Störungen im sonst so perfekten Lauf der Maschine spürbar, was zu immer größeren Leiden der Menschen führt, so kann z.B. das Bett zum Schlafen nicht mehr angefordert werden. Auch der sonst wohl so zuverlässige Korrekturapparat der Maschine funktioniert nicht mehr. So passiert das eigentlich Unvorstellbare: Die Maschine steht still.

Kunos Aufbegehren und die Reise zu seiner Mutter (beide leben auf der jeweiligen gegenüberliegenden Erdoberfläche) endet tragisch und beide sterben wie so viele Andere. Kuno ist dennoch zuversichtlich und so lautet sein letzter Satz: – als Antwort auf seine Mutter, die meinte, dass morgen irgendein Dummer die Maschine wieder in Gang setzten würde – „Niemals. Die Menschheit hat ihre Lektion gelernt.“

Forsters Erzählung reiht sich ein in eine damals verbreitete Literatur an Untergrundgeschichten und nimmt auf sehr erstaunliche Weise spätere technologische Innovationen deutlich vorweg. So lassen sich Konturen einer vernetzen, digitalen Gesellschaft erkennen, die mit Hilfe einer allwissenden und allmächtigen Maschine – heute als Artificial General Intelligence, AGI bezeichnet, umsorgt wird. Wie auch heute merken wir die tiefgreifende Mediatisierung und Digitalisierung besonders dann, wenn es zu Störungen kommt bzw. wenn die ganze Maschine still steht. Läuft alles wie geschmiert, gibt es eine hohe Abhängigkeit der Menschen von der Maschine, gekleidet in ein umfassendes Wohlbühl-Paket – heute sind das Dienste wie YouTube, Amazon Prime oder ChatGPT.

Eine weitere Parallelität betrifft die Eigenschaft der Maschine als Black Box für die Menschen zu wirken. Keiner versteht wie sie arbeitet, bekannt sind lediglich Gremien, die Entscheidungen treffen oder Reparaturen durchführen. Heute sind das undurchschaubare algorithmische Prozesse, schillernde Figuren an der Spitze von Unternehmen und ausbeuterische Strukturen beim Training der KI.

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