Warum ich offen publizieren sollte – ein Plädoyer zum Elften Hochschuldidaktiktag (Uni Siegen) „Die Neue Offenheit – Perspektiven und Potentiale offener Bildungsressourcen“

hier mein Text für das Plädoyer morgen zum Elften Hochschuldidaktiktag „Die Neue Offenheit – Perspektiven und Potentiale offener Bildungsressourcen“
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Mittlerweile ist auch das Video online.
 


Warum sollte ich offen publizieren?

Ein Plädoyer von Markus Deimann | Institut für Lerndienstleistungen, FH Lübeck

Vorgetragen zum Elften Hochschuldidaktiktag

Die Neue Offenheit – Perspektiven und Potentiale offener Bildungsressourcen“

Universität Siegen

13.Oktober 2016

Als am 11. Januar 2013 in einem Apartment in Brooklyn, New York, die Leiche von Aaron Swartz gefunden wurde, fand damit nicht nur ein Leben viel zu früh sein Ende – Aaron wurde nur 26 Jahre alt – , sondern es ging auch einer der konsequentesten Aktivisten für freies Wissen von uns. Insbesondere seine Aktion, als er zwischen Ende 2010 und Anfang 2011 eine sehr große Anzahl wissenschaftlicher Fachartikel aus der Onlinedatenbank JSTOR downloadede, sorgte für große mediale Aufmerksamkeit. Aaron Swartz hatte sich mit einer Industrie angelegt, die bislang eher unbemerkt, die Grundlagen der Wissensgesellschaft bestimmte. Digitale Datenbestände wie JSTOR bieten zwar Zugang zu Wissen, dies aber exklusiv für ein zahlungskräftiges Klientel wie Bibliotheken oder Universitäten. Somit sind Menschen ohne direkten Zugang zu diesen Institutionen ausgeschlossen bzw. auf illegale Angebote angewiesen.
Ist das nicht ein paradoxer Zustand? Leben wir nicht seit vielen Jahren in einer Gesellschaft, die sich gerne mit den Präfixen Wissens-, Netzwerk oder Information schmückt? Ist Wissen nicht der neue Superstoff, der für wirtschaftliche Prosperität, gesellschaftlichen Wohlstand und individuelles Glück sorgen soll?
Allerdings gibt es seit 2001 eine Bewegung, mit der die große Erzählung unserer Wissensgesellschaft herausgefordert wird. Damals begann nämlich das MIT, also eine überaus renommierte Institutionen damit, ihre Kurse inklusive der begleitenden Lehr-/Lernmaterialien frei ins Internet zu stellen. Frei meint dabei nicht nur kostenfrei, sondern frei von Schutzrechten. Denn seit 2004 nutzt das OpenCourseWare Netzwerk, das aus der MIT Initiative hervorging, die CreativeCommons Lizenz. Damit wird an einen alten, heute aber vergessenen Diskurs angeschlossen.
Als 1996 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos John Perry Barlow die Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace veröffentlichte, skizzierte er auch einen radikalen Bruch mit der analogen Welt:
Cyberspace consists of transactions, relationships, and thought itself, arrayed like a standing wave in the web of our communications. Ours is a world that is both everywhere and nowhere, but it is not where bodies live.
We are creating a world that all may enter without privilege or prejudice accorded by race, economic power, military force, or station of birth.
We are creating a world where anyone, anywhere may express his or her beliefs, no matter how singular, without fear of being coerced into silence or conformity.
Your legal concepts of property, expression, identity, movement, and context do not apply to us. They are all based on matter, and there is no matter here.“
So utopisch diese Zeilen heute angesichts der geballten Diskurs- und Gestaltungsmacht von Google, Amazon, Facebook und co auch klingen mögen, sie weisen auf ein großes Freiheitsversprechen des Internets hin. Dieses Freiheitsversprechen gilt auch heute noch. Es liegt an uns allen, es wahr werden zu lassen. Meiner Meinung nach gibt es sogar eine moralische Verpflichtung dafür. Immanuel Kant formulierte im Kategorischen Imperativ:
Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Als Wissensarbeiter/in sowie als aufgeklärter Bürger/Bürgerin der Wissensgesellschaft sind wir auf möglichst unbeschränkten Zugang zu Informationen angewiesen. Nur so können wir uns ausgewogen eine Meinung bilden und ein Netzwerk mit Gleichgesinnten aufbauen, dass uns hilft, der wahnsinnigen Informationsflut durch kluge Filter Herr zu werden.
Auch scheint durch die jüngst angekündigte Open Access Strategie des BMBF angezeigt, dass eine Verpflichtung zum Teilen legitim ist. Auch wenn von einigen bereits vom Staatsautoritarismus schwadroniert wird, steigt der Konsens, dass offen zugängliches Wissen nicht nur ein nettes, philanthropisches Add-On ist, sondern eine konstitutive Bedingung der digitalen Gesellschaft.
Es gibt somit gute moralische und bildungspolitische Gründe, offen zu publizieren. Tatsächlich wäre eine Wissensgesellschaft, die den Zugang zu Informationen aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen einschränkt, geradezu absurd. So brach 2014 beispielsweise die Universität Konstanz die Verhandlungen mit dem Verlag Elsevier wegen ständig steigender Preise ab. Und auf der Webseite Cost of Knowledge haben bislang 16344 Wissenschaftler/innen ihren Protest gegen Elsevier zum Ausdruck gebracht.
Wir brauchen aber mehr als Online Proteste, wir brauchen eine gelebte Praxis der Offenheit. Wir brauchen das Bewusstsein für die Notwendigkeit des offenen Zugangs. Wir brauchen den Mut, sich den ökonomisch Regierungsformen des Publish or Perrish, der uns zwingt in geschlossenen High Impact Journals zu publizieren, zu widersetzen.
Wir sollten die neue Offenheit auch in die Universität hineintragen, denn ohne unser Zutun wird sich diese Institutionen nicht einfach verändern. Das mussten auch die Bill Gates und Sebastian Thruns am eigenen Leib erfahren, als sie vollmundig das Ende der Universität ausriefen. Warum das so ist, liegt an der grundlegenden Verfassung der Hochschule. Sie baut nämlich auf einem Wahrheits- und nicht auf einem ökonomischen Code auf. So kollidieren Versuche, die Offenheit kommerziell auszunutzen mit dem Wahrheitscode. Offenheit stellt nämlich auch einen Wert an und für sich dar. Ich denke sogar, dass wir einen neuen Code definieren können, den Offenheitscode. Dieser kann beispielsweise für den Zugang zu Informationen oder Institutionen angewendet werden. Ganz grob lässt sich der Offenheitscode in den Ausprägungen hoch, mittel und gering unterscheiden. Er hilft Universitäten dabei, ein eigenes Verständnis bzw. eine eigene Strategie im Hinblick auf die Herausforderungen der Digitalisierung zu entwickeln. Er hilft ihnen auch dabei, ihr Selbstverständnis und ihre Mission kritisch zu überdenken, ohne reflexartig in den Chor der disruptiven Innovator/innen einzustimmen. Ein Beispiel für ein solch reflektiertes Vorgehen – Sie gestatten mir sicher diesen Werbeblock – ist das Institut für Lerndienstleistungen an der FH Lübeck. Wir entwickeln offen zugängliche MOOCs als Instrument für mehr Durchlässigkeit zwischen der beruflichen und akademischen Bildung. Es geht dabei um die Öffnung der Hochschule für nicht-traditionelle Studierende. Ein wichtiger Baustein dafür sind die Open Educational Ressources, die bei der Produktion der MOOCs entstehen und danach für jedermann/jedefrau frei nutz- und veränderbar ins Netz gestellt werden.
Ich hoffe sehr, dass es die Venture Capitalists, die finanzstarken Stiftungen und die innovationswillige, oft aber konzeptarme Bildungspolitik nicht schaffen, das zarte Pflänzchen der neuen Offenheit so als Marketinghype auszuschlachten, dass am Ende nur noch Enttäuschung zurückbleibt.
Wir alle sind aufgerufen, den Diskurs mitzubestimmen und mitzugestalten. Sapere aude!

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