Plädoyer für einen didaktischen Instrumentalismus: Das „Handbuch Hochschullehre Digital. Leitfaden für eine moderne und mediengerechte Lehre“ von Jürgen Handke

Für alle die sich wie ich mit Digitalisierung im Rahmen von Hochschullehre beschäftigen – für Handke die Gruppe der „exotischen Spinner“ (S. 27) – , ist die Veröffentlichung des Buchs ein willkommenes Ereignis. Wo sonst wird dem Thema der digitalen Transformation und deren Auswirkungen auf die Lehre ein so prominenter Platz beigemessen? Auch scheint nach den Hypes um Massive Open Online Courses (MOOCs) und dem Flipped/Inverted Classroom die Zeit reif, sich grundsätzliche Fragen zur Digitalisierung zu stellen und vor dem Hintergrund der langen akademischen Tradition kritisch zu diskutieren.
So weit meine Ewartungen an das Buch. Wohl auch vor dem Hintergrund der zur Zeit hitzig geführten Debatte zum Für und Wider digitaler Bildung steigt Handke mit steilen Thesen ein:
1 „Digitalisierung ist zum Normalfall geworden.
2. Digitale Lehr- und Lernszenarien verbessern die Hochschullehre.
3. Learning is not just Video! (dt. Lernen besteht nicht nur aus Videoschauen.)
4. Didactics/Pedagogy must drive Technology and not vice versa! (dt. Die Didaktik muss die Technologie führen und nicht umgekehrt).“
Damit ist das Grundgerüst des Handbuchs festgelegt und für mich auch Grund, etwas irritiert zu sein. Denn entgegen der Ausrichtung eines Handbuchs als Ratgeber mit einer hohen Orientierungs- und Strukturierungsfunktion für LeserInnen und PraktikerInnen, sind die Thesen stark normativ aufgeladen und werden nicht ausreichend begründet. Schon die erste These ist keinesfalls Konsens, man denke nur an Buchtitel wie „Analog ist das neue Bio“ oder „Die Lüge der digitalen Bildung. Warum unsere Kinder das Lernen verlernen“, um abweichende Meinungen festzustellen, die auch entsprechend benannt werden sollten. Noch kritischer finde ich dann These 2 und 4, da hier die Position des didaktischen Instrumentalismus eingenommen wird, d.h. Didaktik (und Pädagogik) schwinkt sich per Selbst-Designation zur Königin auf und sagt der Technik wo es lang geht. Das ist jetzt von mir zugespitzt formuliert, doch mir ist wichtig, die zugrundeliegende Stoßrichtung solcher Aussagen zu verstehen. Das ist sowohl auf der praktischen wie der grundsätzlich-philosophischen Ebene problematisch. Zwar gibt es seit kurzer Zeit tatsächlich Stellen für MediendidaktikerInnen, die mit IT-/Rechenzentren von Hochschulen zusammen an der „Modernisierung“ der Lehre arbeiten sollen und dabei wohl den „Hut“ aufhaben, doch dürfte das eine große Herausforderung sein, InformatikerInnen von der Notwendigkeit didaktischer Prinzipien bei der Auswahl oder Programmierung von Software zu überzeugen.
Prinzipiell ist ein didaktischer Instrumentalismus insofern problematisch – und darauf haben Hamiliton und Friesen in ihrem Beitrag deutlich gemacht – da die Eigenständigkeit bzw. das Eigenleben von Technik ignoriert wird. Stattdessen wird Technik als neutrale und gefällige Dienerin dargestellt, die für die Umsetzung von didaktischen Innovation nur allzugerne zur Verfügung steht. Angesichts dieser hohen Gestaltungsmöglichkeiten für die Umsetzung medial gestützter Lernszenarien scheinen die empirische Befunde, wonach didaktische Prinzipien und pädagogische Modelle keinen signifikanten Unterschied machen, geradezu paradox. Vielleicht aber doch nicht so sehr, wenn man etwas genauer über die Rolle von Technik nachdenkt. Denn die Leitrolle von Didaktik ist nur eine Illusion, die darüber hinwegtäuscht, dass bei der Gestaltung von didaktischen Szenarien Technologien den Rahmen, innerhalb dessen sich Pädagogik überhaupt entfalten kann, absteckt. So gesehen generieren auch Learning Management Systeme wie Moodle erst den Raum, d.h sie managen die Lehre und ermöglichen das Lernen. Somit sind in der Technologie bereits bestimmte Werte eingeschrieben, die sich dann auf die didaktische Gestaltung auswirken.
Der didaktische Instrumentalismus schlägt sich dann in der Behauptung, dass digitale Lehr-/Lernszenarien die Hochschullehre verbessern nieder. Leider wird damit die Forderung nach mehr digitaler Bildung an der Hochschule in Form von digitalen Strategien mehr geschwächt denn gestärkt. Eine derart einseitig ausgerichtete These lässt die Erwartungen von Hochschulleitungen und BildungspolitikerInnen in die Höhe schnellen und vergisst, dass ein solcher Automatismus empirisch nicht belegt ist. Gerade vor dem Hintergrund des Diskurses um MOOCs und den ihnen zugeschriebene revolutionäre Kraft wäre eine augewogenere Argumentation ratsam. Zweifellos haben digitale Technologien enormes Transformationspotential, doch findet das in einem komplexen Spannungsfeld von politischen und ökonomischen Interessen statt. Nüchterner betrachtet – so wie von Winfried Marotzki in diesem Podcast zur Medienbildung – kommt es zu einer Veränderung der Lehre, die sich in bestimmten Konstallationen, wie beim Flipped Classroom, als Bereicherung herausstellt.

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