MOOC unchained – Warum wir neue Denkfiguren brauchen

Anlässlich der Frühjahrstagung der Arbeitsgemeinschaft Fernstudium an Hochschulen in Koblenz, versuche ich in meinem Beitrag den aktuellen MOOC-Diskurs etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Dazu verfolge ich folgende drei Schritte:

  1. Annahme: Welche impliziten und expliziten Annahmen finden sich im MOOC-Diskurs und wie werden diese begründet?
  2. Realität: Wie sieht es wirklich aus in der aktuellen Entwicklung?
  3. Konsequenz: Welche Lehren sind daraus zu ziehen und wie sollte die weitere Diskussion gestaltet werden?

Mit diesem Raster geht es dann durch folgende Kernaspekte von MOOCs:
Dropout
Generell gilt in der Pädagogik sowohl im- als auch explizit die Annahme:

Lehrveranstaltungen sind so zu gestalten, dass Lernenden mit entsprechenden motivationalen und kognitiven Kompetenzen und entsprechender Anstrengung und Unterstützung durch Lehrende die Lernziele in der vorgegebenen Zeit erreichen.

Falls das mal nicht so klappt, gibt es eine Fülle von Unterstützungen wie z.B. die Motivationstrainings, die ausgerichtet sind, dass Lernende bei Unlust motiviert sind, um das übergeordnete Lehrziel zu erreichen. MOOCs führen seit ihrer Einführung hier zu großer Irritation, da Abbruchraten von über 90% die Regel zu sein scheinen. Andererseits können wir uns aber auch Fragen, warum wir bei einem offenen Format – und das waren MOOCs einmal – immer noch am starren Gelingensbegriff festhalten müssen. Lernen denn nicht auch die sog. Lurker etwas? Kann ein vermeintlich vorzeitiger Abbruch nicht auch ein Indiz sein, dass der Lernende sein persönliches Lernziel erreicht hat?
Verständnis von Technik
Peter Norvig spricht in seinem TED-Talk „The 100,000-student classroom“ prototypisch an, was man als Technikdeterminismus bezeichnen könnte. Es geht um den Glauben an Technik als eine autonome Macht, die uns zwingt, soziale und kulturelle Praktiken zu verändern. Wenn nun also digitale Technologien so viele Möglichkeiten zur Präsentation, Verbreitung, Speicherung, Aufbereitung von Bildung zu Verfügung stehen, warum müssen wir dann noch an so überkommenen Formaten wie der Vorlesung festhalten? Evgeny Morozov beschreibt das in seinem aktuellen Buch To Save Everything, Click Here als „Technological Solutionism“ und meint damit: „Recasting all complex social situations as neatly defined problems with definite, computable solutions.“ Dass Bildung eine komplexe soziale Situation ist, kann man als unbestritten bezeichnen, daher sollten wir auch die Rolle der Technik etwas komplexer anlegen. Hilfreicher erscheint mit der Ansatz des Social Construction of Technology, der von einem gemeinsamen Aushandlungsprozess zwischen gesellschaftlichen Herausforderungen – wie kann Bildung einer möglichst großen Zahl von Menschen zu einem für sie erschwinglichen Preis und in ausreichender Qualität zur Verfügung gestellt werden? – und technologischen Lösungen.
Verständnis von Openness
Hier könnte man davon ausgehen, dass Openness im Zusammenhang von MOOCs ein definiertes Konzept ist, gibt es doch eine längere Entwicklungslinie der Open Education Bewegung. Insbesondere David Wiley hat sich verdient gemacht um eine differenzierte Betrachtung von Openness, was im Vorschlag der 4R-Prinzipien mündete. Die Realität sieht leider anders aus, denn es dominiert vor allem der Aspekt kostenfrei die aktuelle Diskussion, z.B. im Zusammenhang mit der Ausschreibung vom Stifterverband und Iversity. Für mich noch bedenklicher ist es dann, wenn kommerzielle Anbieter wie Coursera die Nutzungsrechte massiv einschränken und damit die Anstrengungen der Open Education Bewegung missachten und konterkarieren.
Daraus folgend wäre ein differenzierter Umgang mit Openness im Hinblick auf Technik, Pädagogik und Organisation wichtig. Auch ein weniger emotionales und dogmatisches Festhalten an vermeintlich in Stein gemeiselten Openness-Kriterien wäre wichtig, wie hier schön zusammengefasst. Schließlich gebe ich zu bedenken, dass man in Anlehnung an den französischen Philosophen Michel Foucault Öffnung auch als Form der Ausgrenzung begreifen sollte, nämlich all derer, die sich nicht dem Zwang zur Öffnung (wie es ja in den ursprünglichen MOOC-Prinzipien gefordert wird) unterwerfen.
Deutungshoheit über den Begriff MOOC
Die Annahme wäre, dass MOOCs in die oben bereits genannte Entwicklungslinie von Open Education (mehr dazu siehe hier und hier) eingebettet sind, d.h. dargestellt als Weiterentwicklung von Open Educational Resources. Leider ist das nicht immer so. Insbesondere Qualitätsmedien wie die ZEIT (polemisch auch als Flagschiff des deutschen Bildungsbürgertums bezeichnet) zeichnen sich hier durch erschreckend schlecht recherchierte Berichte aus.
Dass ist jedoch nicht das größte Ärgernis, vielmehr werden MOOCs inzwischen bildungspolitisch instrumentalisiert zur Durchsetzung neoliberaler Interessen. Exemplarisch lässt sich das mit dem Senate Bill 520 in Kalifornien verdeutlichen, das ein „Automatic MOOC Transfer Credit“ für alle öffentlichen Landes-Universitäten plant. Anstatt das in die bestehende Infrastruktur der Hochschulen investiert wird, definiert man das Problem um, so dass (kommerzielle) MOOCs am Ende als Lösung verkauft werden können.
Pädagogischer Wert von MOOCs
Prinzipiell denke ich immer noch, dass MOOCs eine Bildungsinnovation sind. Mit dem durch die xMOOCs beginnenden Wettbewerb um immer größere Teilnehmerzahlen kommen mir allerdings Zweifel, ob die Massification of Education wirklich eine so gute Idee ist. Klar gab es in der Geschichte schon sehr ähnliche Versuche, gerade im Bereich der Fernlehre (Open University UK und FernUniversität in Hagen sind dafür gute Beispiele). Doch dabei war auch immer das Bemühen um eine didaktisch-pädagogisch sinnvolle Begleitung der Studierenden erkennbar, die klar über das reine Anbieten von Inhalten hinausging. Genau das vermisse ich bei (x)MOOCs. In diesem Sinne äußert sich auch Peter Burgard (Professor in Harvard), wenn er von MOAT (massive online animated textbooks) spricht und damit die fehlende Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden kritisiert.
Schlussfolgerungen
Ich plädiere für neue Denkfiguren, um das Phänomen der MOOCs besser begreifen und pädagogisch durchdachter entwickeln zu können. Dabei sollte Openness sowohl als Chance wie auch als Verantwortung begriffen werden (Stichwort Ausgrenzung). Auch sollten wir besser aus der Geschichte lernen (MOOCs sind keine wirklich neue Idee).
Die zentrale Forderung ist jedoch #reclaim Deutungshoheit (in Anlehnung an #reclaim open): D.h. pädagogische Ideale, Prinzipien und Ziele sollten nicht zugunsten kommerzieller Interessen untergraben werden.
Prezi zum Vortrag gibt es hier.

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