Anhörung im niedersächsischen Landtag am 18. April

Zu Anhörung und Aussprache des Antrags der CDU-Fraktion Zukunftsprogramm  „Digitale Lehre “ auflegen – Online-basierte Lehre an  niedersächsischen Hochschulen stärken! wurde ich gebeten eine Stellungnahme abzugeben. Im Blog des Hochschulforum Digitalisierung finden sich die Stellungnahmen der anderen Expert_innen.


Sehr geehrte Damen und Herren,
digitales Lehren und Lernen bietet zweifellos herausragende Chancen, Bildung neu zu erleben und Hoch-schulen zu stärken. Die Digitalisierung hat sich nahezu vollständig in allen gesellschaftlichen Bereichen verbreitet, Hochschulen sollten und dürfen hier keine Ausnahme machen. Allerdings gilt es auch die Ei-gengesetzlichkeiten und Historie dieser akademischen Institution genau zu berücksichtigen. Hochschulen sind keine Medienunternehmen, auch wenn viele Kommentartorinnen und Kommentatoren für eine 1:1-Übertragung der Digitalisierungsdynamiken eintreten. Bildung ist mehr als die intelligente Verbreitung mul-timedial aufbereiteter Inhalten und deren Auslieferung auf unterschiedlichen Endgeräten. Auch wird Lernen nicht einfach automatisch in Gang gesetzt, sobald ich Zugang zu einer „Bildungs-Playlist“ habe, auf die von überall zugegriffen werden kann.
Es ist daher wichtig, digitale Werkzeuge, Technologien und Angebote mit dem System der institutionali-sierten Hochschulbildung abzugleichen, um so auszuloten, an welchen Stellen und für welche Funktionen die Digitalisierung einen „Bildungsmehrwert“ schafft. Dies erfordert einen abgestimmten Dialogprozess aller Beteiligten und eine strategische Verortung bei der Hochschulleitung. Auch für das zu diskutierende Zukunftsprogramm „Digitale Lehre“ gilt das: Es ist sicherzustellen, dass die sozio-kulturellen und bildungspolitischen Besonderheiten niedersächsischer Hochschulen berücksichtigt werden und kein „digitaler Aktionismus“ ausgelöst wird. Die mit dem Programm attribuierten Chancen sind keine Selbstläufer, sondern erfordern ein strategisches Vorgehen. Hierzu werden mit dem Antrag bereits wichtige Aspekte tangiert: Strukturelle Verankerung mit den Zielvereinbarungen der Hochschulen, ein angemessener Rechtsrahmen, der Hochschulen bei der Verankerung der Digitalisierung unterstützt, ein spezifisch auf die Besonderheiten digitaler Lehre ausgerichtetes Motivationssystem für Lehrende sowie Aspekte der Akkredi-tierung von Online Studiengängen.
Was es darüber hinaus braucht, sind beispielhafte Modelllösungen für eine gute digitale Lehre, die dem eingangs angesprochenem Spannungsfeld zwischen digitaler Euphorie und traditioneller Hochschulpraxis Rechnung tragen. Das betrifft beispielsweise Ansätze aus dem Bereich der Open Education, die für eine Demokratisierung und Chancenvielfalt in der Bildung stehen. So erlauben sogenannte offene digitale Bildungsressourcen (OER) deren Verwendung, Veränderung und Weitergabe im Netz ohne den Urheber/die Urheberin explizit um Erlaubnis fragen zu müssen. OER sind damit ein wichtiges strategisches Mittel, Bildung zu öffnen und neue Zielgruppen zu erschließen. So bieten sich beispielsweise Brücken- und Vorbereitungskurse auf OER Basis in „kritischen“ Fächern wie Mathematik an. Zur Förderung des Austauschs und der Kollaboration – beides konstitutive Elemente der Hochschulbildung – im digitalem Raum lassen sich Massive Open Online Courses (MOOCs) einsetzen. MOOCs sind im Hinblick auf Skaleneffekte interessant sowie als Instrument zur Digitalisierung der Präsenzlehre. Mit dem als Inverted Classroom bekannten Modell lassen sich Mediennutzungsgewohnheiten netzaffiner Lernender und konventionelle Ansprüche von Bildungseinrichtungen intelligent verzahnen. Diese und weitere Ansätze sind systematisch auszubauen und perspektivisch zu etablieren.
Mit dem Aufkommen dieser und weiterer digitaler Lehr-/Lernszenarien stellen sich dann auch Fragen zur Bildungstradition und pädagogischen Praxis strukturell neu. Das betrifft beispielsweise Lern- bzw. Studienerfolg. Hier trifft die konventionelle Messung, Abschlussquote, zu kurz und vernachlässigt wichtige Aspekte von Bildung im digitalen Ökosystem. Es geht neben der erfolgreichen Bearbeitung von Testaufgaben nun viel stärker um aktive Partizipation in digitalen Netzwerken. Nicht allein das intelligente Bedienen von Apps auf dem Smartphone oder Grundkenntnisse des Programmierens sind damit gemeint, sondern die Bereitschaft zum Teilen von Wissen und Fertigkeiten, zum Kooperieren und Kollaborieren in unterschiedlichen, dezentral organisierten Netzwerkten.
Wenn wir digitale Bildung ernst nehmen, dann braucht es neue Konzepte, die das alte bildungsphilosophische Erbe von Humboldt behutsam und überlegt in die digitale Zeit übertragen. Wir sollten dabei, wie einige Verfechter_innen einer digitalen Bildungsrevolution sich erträumen – nicht alles auf intelligente Maschinen übertragen und Lehren zum bloßen Begleiten und Coachen degradieren, sondern nach Wegen suchen, persönliche Beziehungen mit digitalen Werkzeugen zu unterstützen. Bildung ist mehr als der Nachweis von Wissen und Kompetenz – es ist ein sperriges Konstrukt, das sich nicht einfach quantifizieren und abbilden lässt. Es betrifft Grundwerte unserer Demokratie, die gerade in unserer digitalen Gesellschaft von essentieller Bedeutung sind.
Bildungsinstitutionen sind darauf noch nicht vorbereitet. Es braucht daher Konzepte und Mut zum Umsetzen von allen Beteiligten.
 
 
 
 

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