Wie vor kurzem in diesem Beitrag angekündigt, arbeite ich aktuell an einem Buch über digitale Hochschulbildung, genauer gesagt über die Art und Weise, wie darüber gesprochen wird. Warum ich das mache, ist größtenteils biographisch begründet.
Ich habe 2001 meine erste Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Ilmenau (damals dachte ich zunächst, das liegt irgendwo im Allgäu und nicht im schönen Thüringen) in einem E-Learning-Projekt, das sich mit Medizinischer Informatik im Fernstudium beschäftigte, angetreten. Die Projektziele sind im Kursbuch e-learning 2004 beschrieben.
Das Projekt war eines von ungefähr 100 Verbundvorhaben, die durch den Verkauf der UMTS-Lizenzen im Jahr 2000 ermöglicht wurden. Insgesamt standen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung 185 Millionen Euro für die Förderung von E-Learning zur Verfügung (siehe dazu: „E-Learning Förderung in Deutschland“). Dieser „kräftige Anschub“ sollte zur Erstellung von digitalen Lehr- und Lernmaterialien für Online-Studiengänge und „Notebook-Universities“ führen. Die Präsenz-Studiengänge sollten durch den Einsatz von Bildungsmedien qualitativ bereichert werden. Das angegebene Motto lautete „Alles überall lernen zu können“. (so steht es im Vorwort des Kursbuch e-learning 2004).
Aus heutiger Sicht klingen manche Beschreibungen aus der Zeit gefallen („Notebook-Universität“), das übergeordnete Motto ist jedoch zeitlos aktuell. Die hier anklingende Faszination für neue Technologien und der Glaube, dass sich dadurch Hochschullehre verändern lässt, ist es, was mich interessiert. Der E-Learning-Diskurs verfing sich, getrieben durch die Bildungspolitik allerdings nur bedingt in den Hochschulen. Darauf wurde schon damals hingewiesen, z.B. im Zusammenhang mit der fehlenden Nachhaltigkeit (nach Ende der Projektlaufzeit war vielfach ungeklärt, wie die entstandenen E-Learning-Anwendungen in den Regelbetrieb überführt und dauerhaft gepflegt werden) oder dem Urheberrecht (leider spielte damals und noch für viele weitere Jahre das Thema Open Educational Resources keine Rolle). Dem Diskurs zum E-Learning schadete das jedoch nicht und so die Idee stabil und wurde in späteren Zeit wieder reaktiviert (siehe unten).
Auch in einer meiner nächsten akademischen Stationen war ich unmittelbar in den E-Learning-Diskurs involviert: 2006 begann ich im Lehrgebiet Mediendidaktik an der FernUniversität in Hagen der damals noch größten Hochschule in Deutschland. Die seit 1974 bestehende Einrichtung schien aufgrund ihres Betriebsmodell „Fernstudium“ eigentlich prädestiniert für neue Medien / E-Learning und war auch direkt adressiert mit dem Förderprogramm „Neue Medien in der Bildung“ im Allgemeinen und in „meinem“ Projekt im Besonderen (die FernUniversität war Teil des Konsortiums). Aber auch jenseits der damals gewissermaßen klassischen Zielgruppe der Informatik Studierenden sollten elektronische Medien im Studium eine zentrale Rolle spielen. Im 2008 gestarteten Master-Studiengang „Bildung und Medien: eEducation“ sollten „Studierende befähigt werden, mediengestützte Lehr- und Lernarrangements wissenschaftlich fundiert zu erforschen, zu analysieren, zu planen, zu gestalten und zu evaluieren und die dabei erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten in die berufliche Praxis zu transferieren“ (Quelle).
Ab 2007 bin ich dann erstmals mit einer bestimmten Ausprägung des Digitaldiskurses in Berührung gekommen, der mich bis heute nicht losgelassen hat: Die Öffnung der (Hochschul-)Bildung durch Open Educational Resources (OER). Die FernUniversität in Hagen war zu der Zeit Partner im EU-Projekt OLCOS – Open eLearning Content Observatory Services und beteiligt an einer umfangreichen Informationskampagne zu OER. Freie Bildungsmaterialien waren damals etwas völlig Neues und versuchten die Aufmerksamkeit auf einen blinden Fleck des E-Learning-Diskurses zu lenken. Während der umfangreichen E-Learning-Förderung Anfang der 2000er-Jahre entstanden digitale Lehr- und Lernmaterialien, die aber aufgrund des bestehenden, aus der analogen Zeit stammenden, Urheberrechts nicht so leicht im Netz vervielfältigt, verändert oder verbreitet werden konnten. Dafür braucht es erst eine entsprechende Lizenzierung (z.B. mittels der Creative-Commons-Lizenzen). Im Open-Diskurs waren freie Bildungsmaterialien aber nur Mittel zum Zweck. Es ging, wie in der OLCOS-Roadmap formuliert, um lebenslanges Lernen für die wissensbasierte Wirtschaft und Gesellschaft. Hochschulen waren (und sind) aufgefordert, ihre Lehr- und Lernpraktiken zu reformieren und an die Bedingungen der Digitalität anzupassen. Man sollte also nicht bei OER stehen bleiben, sondern diese nutzen, um damit Open Educational Practices (OEP) zu entwickelt.
Als ab Mitte der 2010er-Jahre die Welle der Massive Open Online Courses (MOOCs) über den Atlantik nach Deutschland schwappte, war ich wieder eng im diskursiven Geschehen dabei. Ich wechselte 2016 von der FernUniversität an die FH Lübeck (heute TH Lübeck) um als sog. „MOOC-Maker“ zu arbeiten (hier die damalige Stellenausschreibung). Was aus E-Learning-Sicht eine eher konventionelle Anwendung war (Videoformate von Hochschulkursen, die zusammen mit Quizzes und weiteren digitalen Ressourcen kostenlos über eine Lernplattform für alle Interessierten angeboten wurden), wurde in der medialen Darstellung zur „digitalen Bildungsrevolution„. Menschen, die schon lange im E-Learning-Bereich und der akademischen Lehre tätig waren, blicken dann auch eher skeptisch auf die Verheißungen der MOOCs, da wichtige pädagogische Prinzipien, wie die systematische Berücksichtigung des Vorwissens oder der Medienkompetenz, als zentrale Erfolgsfaktoren im Diskurs zu kurz kamen. Stattdessen versuchten sich Hochschulen rasch dem MOOC-Hype anzuschließen und schloßen mit den neu entstandenen Plattformen Verträge, um ihre Inhalte einer nach hochwertiger Bildung durstenden Gesellschaft anbieten zu können. Allerdings ohne tiefergehend zu diskutieren, ob die Art der Vermittlung zu den Bedürfnissen der lernwilligen Menschen passt und ob damit die bestehenden Probleme im Bildungssystem eher verstärkt als behoben werden.
Genau über diese Stationen des Digitaldiskurses, die mich mein berufliches Leben bisher begleiteten, werde ich im ersten Teil des Buchs schreiben. Damit will ich für die rhetorische Figur „Versprechen der digitalen Bildung“ sensibilisieren und deutlich machen, warum es wichtig ist, sich aus diskursiver Sicht mit digitaler Bildung zu befassen. An einigen Beispielen sollen zentrale Muster des Diskurses zur „Digitalisierung der Hochschule“, so wie er vor allem vom Hochschulforum Digitalisierung seit 2015 „orchestriert“, d.h. mit gestaltet wird und des Diskurses zur „Öffnung der Hochschule“, hier insbesondere OER und MOOCs, herausgearbeitet und illustriert werden.