Direkt im Anschluss an die wieder einmal tolle HFD-Summerschool ging es für mich in die USA um dort am Digital Pedagogy Lab 2019 an der University of Mary Washington in Fredericksburg teilzunehmen. Diese beiden Veranstaltungen sind durchaus vergleichbar, ohne hier eine Rangordnung zu implizieren. Es ist für mich ein Indikator für den Bedarf solcher Formate.
Aber was genau ist das Digital Pedagogy Lab (DPL)? Ich kenne es über Twitter durch Sean Michael Morris und Jesse Stommel, die beide für eine Richtung kritischer Pädagogik stehen. Sie nennen das Critical Digital Pedagogy, wofür es – soweit ich es sehe – in Deutschland kein Äquivalent gibt. Parallelen gibt es zur Reform- bzw. Befreiungspädagogik mit Paulo Freire als einem Hauptvertreter. Es ist ein herrschafts- und gesellschaftskritischer Ansatz und versucht Machtstrukturen aufzudecken, um so Veränderungen zu ermöglichen. Weitere wichtige Autoren sind Ivan Illich mit seinem Werk „Deschooling Society“ oder aus dem Bereich der Fernlehre Charles Wedemeyer mit „Learning at the Back Door“. Sie sind aus den reformbewegten 1960er und 1970er Jahren und bieten bildungsphilosophische Grundlagen, auch ganz ohne die heutigen digitalen Mittel. Wie wichtig solche prinzipiellen pädagogischen Überlegungen sind, zeigt das DPL. Denn entgegen dem Präfix digital geht es nicht um die bestmögliche Digitalisierung von Lernen und Lehren, sondern um kritische Reflexionen über die Auswirkungen der digitalen Transformation.
Etwa 200 Menschen trafen sich für eine Woche intensiven Austauschs (es gab für das Wochenende zuvor noch ein Camps, an dem ich nicht teilgenommen habe). Vorab konnte man sich für einen bestimmten Track entscheiden. Ich wählte Pedagogy, Change and Agency und wurde von Naomi de la Tour von der University of Warwick angeboten. Ich schreibe bewusst „angeboten“ anstelle von „durchgeführt“, da von Beginn an deutlich wurde, dass es um „Critical Pedagogy in Action“ ging. In unserer Gruppe war so viel Expertise vereint, dass es für Naomi wenig Sinn machte, hier einen Wissens- oder Kompetenzvorsprung zu konstruieren. Vielmehr ging es um Dialog und das gemeinsame Lernen und sich inspirieren. Das muß doch aber auch irgendwie organisiert werden, oder?
Eine solche Aktivität war, dass wir überlegen sollten, was für uns der Zweck von Pädagogik ist. Für mich war es:
1) Education is located in-between a triangle of history, culture and context. There is no outside of this triangle.
2) Education is part of human beings.
3) Education is a way of accompanying humans on their journey throughout life. Education is both visible (formal) and invisible (informal, non-formal). Education is focused on the purpose of learning. To help the we can fulfill our purpose of constant, life long learners.
Ähnlich waren auch die Ausführungen meiner Peers. Deutlich wurden für mich bestimmte Werte und eine Haltung, die das pädagogische Handeln leitet und rahmt. Hier hatten wir schnell Einigkeit und auch darüber, dass sich das gegenwärtige Bildungssystem, insbesondere in den USA, aber auch in UK und Kontinentaleuropa davon entfernt hat. Das zeigte die Keynote von Robin DeRosa deutlich auf, die sich mit den verschiedenen Public-Private-Partnerships im Hochschulbereich auseinandersetzte. Kurz gesagt geht es um die Aushöhlung pädagogischer Ideale durch strikt marktwirtschaftliche Überlegungen, die auf die Maximierung des Profits ausgerichtet sind. Es geht um viel Geld, so wie etwa bei der Kooperation der Arizona State University und dem Rise Fund TPG. Auf der anderen Seite ist die Situation der akademischen Mitarbeiter*innen seit Jahren sehr prekär. Die Arbeitsbedingungen sind durch Wettbewerb und ständige Unsicherheit geprägt. Das was viele Lehrende wollen, nämlich gute Lehre wird dadurch erschwert bis verunmöglicht. Darum war es auch für viele US-Kolleg*innen so wichtig und wertvoll, mit Gleichgesinnten beim DPL über die Situation zu sprechen.
Sean Michael Morris verdeutlichte die Besonderheit des DPL während einer Morning Intention (das ist ein 30 minütiges Format zum Einstimmen auf den Tag, der von Sean anmoderiert wurde und dann von einer teilnehmenden Person frei gestaltet wurde): Willing suspension of disbelief. Wie in einem Theaterstück oder einem Film lassen sich Menschen auf die fiktionale Erzählung einer gerechten, demokratischen und anti-rassistischen Pädagogik ein.
Doch zurück zu meinem Kurs „Pedagogy, Change und Agency“. Nach der Diskussion über die Werte ging es um unsere Intentionen. Hier tauchten dann Begriffe und Konzepte wie Community und Learning Environment auf. Allerdings nicht im Verständnis des direktiven und reduktionistischen Instructional Design, sondern als offener Prozess im Sinne des Beautiful Risk of Education von Gert Biesta. Wie sich die Werte (siehe oben) und Ideale einer solchen Pädagogik umsetzen lassen, haben wir intensiv während der Woche diskutiert. Es ist eine Binsenweisheit zu sagen, es gibt keinen Masterplan, aber genau so ist es. Ich denke auch weiter darüber nach, wie sich in meinem Arbeitsbereich Pädagogik offener, partizipativer, demokratischer und diverser gestalten lässt.
Für alle, die auch daran arbeiten, haben wir ein Work-in-Progress-Dokument The Anti-Manifesto Manifesto of Critical Education erstellt. Das ist ein Versuch, die vielfältigen Diskussionen während des DPL in einem digital-fluiden Format festzuhalten. Es ist auch eine Einladung zum Mit-Denken und Mit-Machen.
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