The dark side of the MOOC – Eine Hochschule für alle?
so lautet der Titel meines Vortrags, den ich gestern bei der DAAD-Leitertagung (Leiterinnen und Leiter der Akademischen Auslandsämter und Auslandsbeauftragten der deutschen Hochschulen) in Bonn gehalten habe. Es ging dabei um „Hochschule 2.0: Die Internationalisierung der deutschen Hochschulen im Zeichen virtueller Lehr- und Lernszenarien“. Ich habe den Vortrag anhand von zwei Thesen aufgebaut.
These I: Hinter dem gegenwärtigen Hype um Massive Open Online Courses (MOOCs) liegt eine tiefsitzende Unsicherheit im Umgang mit den Herausforderungen der Digitalisierung des Bildungssystems.
Die Unsicherheit wird ausgelöst durch das Narrativ „Education is broken“, d.h. die Annahme, Hochschulen sind nicht länger in der Lage, Menschen angemessen auf die Herausforderungen und Bedingungen des flexiblen, globalisierten Arbeitsmarkts vorzubereiten. Die Universität entstammt einer anderen kulturellen Epoche, die nur noch wenig mit der heutigen Zeit gemein hat. Dank beständig anhaltender technischer Innovationen können wir Lehre und Lernen viel besser, da effizienter, interaktiver und kollaborativer machen. Wir brauchen dazu „nur“ neue Lehr/Lermethoden („Lernen 2.0“). Für mich ergibt sich dabei eher der Eindruck, dass die Bildung(swissenschaft) zur Erfüllungsgehilfin degradiert wird, die wie die Scheibe Käse/Schinken auf einem Brötchen eingedrückt wird durch die Trends Anforderungen des Arbeitsmarkts und digitale Technologien.
Deutlich wird dies am gegenwärtigen MOOC Hype, der wie Phönix aus der Asche über uns zu kommen scheint. Tsunami, Lawine und ähnliche Metaphern werden gebraucht, um die überwältigende, revolutionäre Kraft dieser Innovation zu verdeutlichen. Mit der Öffnung von regulären Uni-Kursen wurde ProfessorInnen auf einmal bewusst, dass sie weit mehr Menschen erreichen können, als regulär zugelassen werden. Das ist so nicht länger hinzunehmen, die Hochschulen haben versagt und so warf Sebastian Thrun demonstrativ das Handtuch und gründete das Start-up Udacity. Andere taten es ihm gleich und so entstand ein globaler MOOC-Markt. Auch die Bildungspolitik mischt sich kräftig ein, versprechen MOOCs gleich mehrere Lösungen für lange aufgeschobenen Probleme (überfüllte Hörsäle, geringe Mobilität der Studierenden).
These 2: MOOCs und Open Education wirken sowohl befreiend als auch unterdrückend/ausgrenzend.
Nun sind MOOCs keineswegs nur „Murks“, wie auch kürzlich in einem Streitgespräch mit dem Iversity Mitgründer Hannes Klöpper klarmachte. Man sollte jedoch genauer hinschauen, ob die Argumentation „MOOCs als wirksames Mittel, kostengünstig, hochwertige Bildung für alle zugänglich zu machen“ so einfach funktioniert. Ich denke, sie ist an Bedingungen geknüpft, was die Voraussetzungen der Lernenden betrifft. In einer vor mehr als vierzig Jahren durchgeführten, großangelegten Studien fanden Bourdieu & Passeron heraus, dass Hochschulbildung ein bestimmtes kulturelles Kapital voraussetzen. Die Autoren forschten damals zur Zeit der Bildungsexpansion als viele neue (Reform-)Hochschulen gegründet wurden, verbunden mit dem Ziel, auch Arbeiterkindern Zugang zur Universität zu verschaffen. Der Erfolg an der Hochschule, so konnten Bourdieu und Passeron zeigen, ist jedoch an Bedingungen geknüpft, die mit der Zeit vor der Hochschule zusammenhängen: Je nachdem in welchem kulturellen und sozialen Milieu man aufwächst. Chancengleichheit wird damit zur Illusion.
Für MOOCs trifft das ebenfalls zu, gerade dann, wenn Sie, wie in den USA der Fall, den Geist elitärer Hochschulen atmen. MOOCs sind dann das digitale Äquivalent zu Seminaren und Vorlesungen an renommierten Hochschulen, die einen ganz eigenen Habitus voraussetzen.
Als Beleg für diese These lässt sich das Debakel mit der Einführung von MOOCs an der San Jose State University (SJSU) heranführen. SJSU ist eine Universität mit sehr vielen Studierenden unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Um ihre Kompetenzen für ein wissenschaftliches Studium zu erhöhen, pilotierte die SJSU zusammen mit Udacity einen Mathematik MOOC. Die Ergebnisse zweier Evaluationen waren ernüchternd bzw. gerade noch zufriedenstellend. Die Ironie an der Geschichte ist, dass Udacity CEO Sebastian Thrun den Studierenden die Schuld dafür in die Schuhe schob und dabei wohl vergaß, dass das Experiment überhaupt erst deswegen und von der Politik vehement gefordert, gestartet wurde. Der Versuch wurde schließlich eingestellt.
Wichtig ist es daher, sich mögliche Ausgrenzungen bewusst zu machen, die durch einseitige Lehrpraktiken entstehen können. Soziale Inklusion ist an Bedingungen geknüpft, d.h. mit einem MOOC lassen sich nicht immer „Massen“ erreichen, sondern eine klar definierte Zielgruppe, die dann von den eingesetzten Methoden auch profitieren kann. Mit dem MOOC „Entdecke die Insel der Forschung“ haben wir in diesem Sommer an der FernUniversität in Hagen versucht, in dieser Weise vorzugehen. Angesprochen waren, alle die Schwierigkeiten mit dem Thema „wissenschaftliches Arbeiten“ haben. Neben der Bereitschaft, sich auf Offenheit (cMOOC) einzulassen, war es auch das Format, mit konkreten, forschungsbezogenen Aufgaben zu arbeiten, das den Mehrwert des MOOCs ausmachte.
Zusammenfassend bleibt damit die Forderung, MOOCs nicht zu einseitig, als revolutionäre Lösung vieler Probleme zu verkaufen, sondern als Bildungsexperiment, das an bestimmte Voraussetzungen gekoppelt ist, die genauer in den Blick genommen werden müssen.
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Hat dies auf ZwischenSeiten rebloggt und kommentierte:
Markus Deimann von der FernUni Hagen beleuchtet die schöne neue Welt der MOOCs mit einem kritischen Blick. Sind MOOCs die Lehre der Zukunft? Oder erreichen MOOCs nur die, die ohnehin schon interessiert und gut ausgebildet sind?